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Dr. Stephan Janz
Seit einigen Jahren wird in Deutschland die Abstammungsüberprüfung von Herdbuch-Rindern mit einer relativ neuen Technologie, der sog. SNP-Typisierung (s. Reulecke, Journal 2022) durchgeführt. Die SNP-Typisierung hat die früher übliche „DNA-Karte“ abgelöst und ist jetzt obligate Voraussetzung für die Bullen-Körung. Bei dieser Untersuchung wird neben der Abstammung des Tieres zugleich ein ganzes Bündel genetischer Merkmale bestimmt, beispielsweise der Hornstatus eines Tieres oder verschiedene Gendefekte. U.a. werden auch drei Mutationen eines Gens bestimmt, die für das sog. Doppellender-Syndrom verantwortlich sind. Als Beifang des Abstammungsnachweises, gewissermaßen, zeigte sich so in den letzten Jahren, dass einige der untersuchten Highland-Bullen Träger dieser Mutation waren. Dieser Befund wurde den Highland-Züchtern vom VDHC-Vorstand in einem Rundschreiben vom 26.6.2022 bekanntgegeben und – erstaunlich unaufgeregt – mit der Mitteilung versehen, man habe „keine Kenntnis, ob sich das Vorhandensein dieser Genmutation überhaupt negativ auf unsere Rasse auswirkt.“ Ebenso erstaunlich war, dass diese Gen-Mutation in der Züchterschaft ein weiteres Jahr lang so gut wie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde als das, was sie tatsächlich ist: eine Sensation für die Rasse Highland. Die meisten Züchter – mich eingeschlossen – und selbst die Besitzer der betroffenen Bullen haben diese Mitteilung des VDHC offenbar überlesen oder ihre Bedeutung nicht realisiert und schnell wieder vergessen.
Im September 2023 hat mich ein befreundeter Züchter angerufen, der sich zwei Jahre zuvor aus einer renommierten Zucht einen vielversprechenden Absetzer mit fabelhaftem Pedigree gekauft hatte. Er hatte diesen Jungbullen mit Geduld und Augenmaß aufgezogen und dann zur Körung vorgestellt. Die SNP-Typisierung, mitgeteilt vom zuständigen Herdbuch, ergab den überraschenden und schockierenden Befund: der Bulle ist Träger eines „Doppellender-Gens“ und kann nicht als Elite-Bulle eingetragen werden. Für mich war dieser Anruf ein Weckruf, der mich zu weiteren Nachforschungen, was den Ursprung, die Verbreitung und die Bedeutsamkeit dieser Gen-Mutation angeht, veranlasst hat. Bis dahin habe ich Doppellender für eine monströse Fehlentwicklung bei der Rasse der Weiß-Blauen Belgier gehalten, über die ich nichts wusste und über die ich nicht weiter nachgedacht habe und die ich auch in wildesten Vermutungen niemals in Zusammenhang mit der Rasse Highland Cattle gebracht hätte.
Ich möchte in diesem Artikel, der auf einer Literaturrecherche beruht, darstellen, was man unter Doppellendern versteht, was es mit dieser Genetik auf sich hat und warum sie meiner Ansicht nach eine Bedrohung der inneren Substanz der Rasse Highland Cattle ist. Zunächst aber möchte ich kurz skizzieren, wie diese Genvariante in die europäische Highland-Zucht geraten ist und sich ausgebreitet hat.
I. Zur Herkunft der Doppellender-Genetik und ihrer Ausbreitung in der europäischen Highland-Zucht
Soweit bekannt sind alle Tiere der Rasse Highland, bei denen in Europa bisher das sog. „Doppellender-Gen“ nachgewiesen wurde, Nachkommen eines Highland-Bullen, der Anfang der 1990iger Jahre aus Kanada in eine seinerzeit sehr bekannte österreichische Zucht importiert wurde, die – nicht ohne grundsätzlichen Widerspruch aus anderen Teilen der österreichischen Züchterschaft – Wert auf großrahmige schwere Tiere legte. Dieser kanadische Bulle war ein imposantes wuchtiges und ausgesprochen typvolles Tier und er war, was niemand wusste und niemand wissen konnte, Träger dieses „Doppellender-Gens“, Träger der Myostatin-Mutation NT821 (s.u.).
Der Bulle erfüllte in Österreich alle in ihn gesetzten züchterischen Erwartungen und wurde, nachdem er dort ausgedient hatte, um das Jahr 2000 von einem deutschen Züchter in Niedersachsen gekauft, hat hier noch kurze Zeit gedeckt und Nachzucht in drei Betrieben hinterlassen (u.a. ein Kuhkalb in meiner Herde).
Ein Ur-Enkel dieses Bullen wurde 2008 aus Österreich in eine der größten und einflussreichsten Highland-Herden nach Schottland exportiert und hat in der Folgezeit mit seiner Nachzucht – nicht nur in der ersten Generation – über Schauerfolge und Zuchttierverkäufe in viele Herden die europäische Highland-Zucht nachhaltig geprägt. Auch dieser Bulle war, was niemand wusste und niemand wissen konnte, Träger der Myostatin-Mutation NT821.
Im Jahr 2023/24 wurde in Deutschland bei 4,4% der getesteten Tiere diese Mutation nachgewiesen. Zusammen mit den Tieren aus den Vorjahren mögen es seit Beginn der SNP-Typisierung insgesamt vielleicht um die 80 Highland-Tiere sein, bei denen diese Mutation bestätigt wurde. Diese Tiere stammen aus österreichischen, deutschen und britischen Herden, gehen aber alle auf denselben Stammvater zurück.
Nicht geklärt ist meines Wissens, wann, wo und wie die Genmutation ursprünglich in Kanada in die Highland-Zucht geraten ist.
II. Was sind Doppellender?
Unter der ungenauen missverständlichen Bezeichnung „Doppellender-Gen“ wird eine Reihe von vererbten/vererbbaren Mutationen des sogenannten Myostatin-Gens zusammengefasst. Die normale Funktion dieses Gens, das bei allen Säugetieren vorkommt, besteht darin, die Entwicklung der Skelettmuskulatur zu steuern, genauer gesagt, zu begrenzen. (Beyer et al., 2013) Bei einer Fehlfunktion dieses Gens kommt es u.a. zu einer mehr oder weniger ausgeprägten unkontrollierten Überentwicklung der gesamten Muskulatur, der das Syndrom seinen Namen verdankt. (Die englische Bezeichnung hierfür ist double muscling, also Verdopplung der Muskulatur, nicht nur der Lenden-Muskulatur.)
Bisher sind etwa 20 verschiedene Myostatin-Mutationen entdeckt worden. (Aiello, Ryan) Hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Erscheinungsbild und körperliche Eigenschaften der betroffenen Tiere unterscheiden sich diese Gen-Varianten zum Teil deutlich. Die Mutation, die jetzt auch bei unserer Rasse gefunden wurde, trägt die Bezeichnung NT821 und bisher wurden bei Highland Cattle keine weiteren Myostatin-Mutationen gefunden. Es ist diese besondere Gen-Variante NT821, die durch systematische Zuchtauslese bei der Rasse der Weiß-Blauen Belgier zu ganz überwiegend reinerbigen Tieren mit dem typischen Erscheinungsbild, das man mit Doppellendern assoziiert, geführt hat. NT821 kommt relativ häufig auch bei der Rasse Parthenaise vor. In geringerer Frequenz und meistens nicht reinerbig wird diese Mutation auch bei anderen Rassen gefunden, so etwa bei South Devon, Shorthorn, Angus, Limousine und Aubrac.
Träger der Mutation NT821 weisen je nach ihrer Rasse, Geschlecht und Genstatus (reinerbig/mischerbig) eine mehr oder weniger stark überentwickelte Muskulatur auf und damit eine erhöhte Schlachtausbeute – weltweit ein bedeutsamer Faktor für die Fleischindustrie. Dieser Zuwachs an Muskelmasse geht allerdings auf Kosten und zu Lasten anderer Gewebe, Organe und normaler Körperfunktionen. (Literaturübersichten hierzu s. Demmler+ Fiems) Von allen Myostatin-Mutationen ist NT821 hinsichtlich ihrer physischen Auswirkungen offenbar die potenteste Variante. Andere, die in hoher Frequenz bei anderen Rassen auftreten (etwa die Variante F94L bei Aubrac und Limousine oder C313Y bei Piemontesern), haben vergleichsweise weniger dramatische Auswirkungen auf Muskelentwicklung und andere Merkmale.
Bevor ich im Einzelnen auf Auswirkungen der Doppellender-Genetik, speziell der Myostatin-Mutation NT821, eingehe, möchte ich zum besseren Verständnis einige genetische Grundbegriffe kurz erläutern. (Leser, die mit diesen Begriffen vertraut sind, können diese Abschnitte überspringen und bei III. weiterlesen.)
Genstatus
Die in der DNA verschlüsselte Erbinformation jedes Gens stammt je zur Hälfte von einem der beiden Elternteile. Diese Informationshälften zu einem bestimmten Merkmal können identisch sein, sie können aber als Ergebnis einer spontanen natürlichen Mutation auch leicht unterschiedlich sein und werden dann als Allele bezeichnet, Varianten des jeweiligen Gens.
Wenn ein Individuum von beiden Elternteilen identische Gen-Varianten geerbt hat, dann wird dieses Individuum als reinerbig/homozygot für dieses Gen bezeichnet und kann auch nur diese eine Genvariante an eigene Nachkommen vererben. Als mischerbig/heterozygot wird ein Individuum bezeichnet, das von seinen Eltern verschiedene Varianten eines Gens, verschiedene Allele, geerbt hat. Ein solches Individuum kann an seine Nachkommen demnach auch jeweils das eine oder das andere Allel vererben.
Die meisten Angehörigen der meisten Rinderrassen sind homozygot für das normale ursprüngliche Myostatin-Allel, das auch als Wildtyp bezeichnet wird. Manche Rassen sind dagegen heute praktisch homozygot für bestimmte Myostatin-Allele gezüchtet, wie etwa die Weiß-Blauen Belgier oder die Piemonteser (s.o.).
Die Bezeichnungen und Kürzel, die in der Forschungsliteratur zu den Myostatin-Varianten benutzt werden sind nicht durchgehend einheitlich. In diesem Artikel wird das Allel, das jetzt auch bei der Rasse Highland aufgetaucht, ist als NT821 (früher auch del11) bezeichnet und mit dem Kürzel dm symbolisiert. Das Kürzel + steht für das Wildtyp-Allel. Der Genstatus eines homozygoten Tieres wird +/+ oder dm/dm geschrieben, ein heterozygoter Genstatus entsprechend dm/+.
Wechselwirkungen verschiedener Allele
In klassischem genetischem Verständnis verhält sich eine Gen-Variante einer anderen gegenüber entweder dominant oder rezessiv. Das bedeutet, dass bei einem heterozygoten Individuum ausschließlich das dominante Allel das Erscheinungsbild bestimmt. Das Individuum beherbergt zwar beide Allele mit ihrem genetischen Potential und kann auch beide Allele vererben (s.o.), aber dieses genetische Potential lässt sich am Erscheinungsbild und physischen Merkmalen nicht erkennen. Einem hornlosen Tier kann man nicht ansehen, ob es reinerbig hornlos ist oder mischerbig.
In vielen Fällen aber trifft dieses Alles-oder-Nichts-Prinzip von entweder dominanter oder rezessiver Merkmalsvererbung nicht zu. Ganz oft führen Wechselwirkungen zwischen den Allelen eines Gens dazu, dass ein Mischbild auftritt oder dass ein bestimmtes Merkmal nur bei homozygoten Individuen in voller Ausprägung auftritt, bei heterozygoten Individuen dagegen nur in abgeschwächter Form. Solche Erbgänge werden als co-dominant, als teilweise oder unvollständig dominant oder als dominant mit unvollständiger Penetration bezeichnet.
Ein Gen – so auch das hier betrachtete Myostatin-Gen – kontrolliert häufig nicht nur ein einziges Merkmal oder Zielorgan und je nach Merkmal oder Zielorgan können die Wechselwirkungen verschiedener Allele uneinheitlich sein: ein Allel kann sich in Bezug auf ein Merkmal eher dominant verhalten und eher rezessiv auf ein anderes Merkmal.
Ein nur teilweise oder unvollständig dominantes Verhalten ist umso bedeutsamer, je vielfältiger die Auswirkungen eines jeden Allels sind, je vielfältiger die Zielorgane sind, an denen diese Allele zur Wirkung kommen und je mehr Wechselwirkungen mit völlig anderen Genen an diesen Zielorganen zusätzlich eine Rolle spielen.
Und schließlich: ein unvollständig dominanter/unvollständig rezessiver Erbgang ist nicht immer leicht oder auch nur mit bloßem Auge zu erkennen. Man wird einen solchen Vererbungsmodus umso eher finden, je genauer man hinschaut, mit dem Auge, mit dem Mikroskop, mit Labormethoden.
III. Physische Merkmale, die mit dem Allel NT821 assoziiert sind
Die Merkmale, die im Folgenden aufgeführt sind, sind Merkmale, die speziell mit dem Allel NT821 assoziiert sind. Ich habe für diesen Artikel nur Arbeiten herangezogen, die sich mit Rinderrassen und Kreuzungstiere befassen, die diese besondere Genvariante aufweisen.
Forschung zu den Auswirkungen des Allels NT821 lässt viele Fragen noch unbeantwortet und meines Wissens gibt es bisher keine wissenschaftlichen Arbeiten über diese Genetik bei Highland Cattle. Bei einer Durchsicht der einschlägigen Forschungsliteratur wird gleichwohl deutlich: je mehr die Forschung fortschreitet von einer bloß visuellen Beurteilung einzelner Tiere zur Analyse größerer Anzahlen und je genauer das Augenmerk auf feinere anatomische, physiologische, biochemische und molekularbiologische Aspekte dieser Genetik gerichtet wird, umso klarer zeichnet sich ab, dass die Doppellender-Genetik Auswirkungen hat, die über die Überentwicklung der Muskulatur weit hinausgehen. Diese Auswirkungen variieren zwar graduell z.T. deutlich zwischen verschiedenen Rassen und Kreuzungen und vermutlich hat dies mit der Art und Weise zu tun, in der das Myostatin-Gen und seine Allele mit je nach Rasse unterschiedlichen Konstellationen anderer Gene – „Modifizier-Gene“ (Dunner etal., 2003) – in Wechselwirkung treten (Kostusiak et al., 2023). Abgesehen von solchen graduellen Unterschieden gibt es aber eine grundsätzliche Übereinstimmung dieser Auswirkungen an sich. (Umfangreiche Literaturübersicht ist zu finden bei Aiello et al.,2018; Demmler, 2011; Fiems et al., 2012; Kostusiak et al., 2023; Ryanet al., 2023.)
Es ist die grundsätzliche Übereinstimmung der bei anderen Rassen und vielen Kreuzungen nachgewiesenen Auswirkungen dieser genetischen Mutation auf eine ganze Reihe physischer Merkmale, die den Schluss nahelegt, dass unsere Rasse in gleicher Weise betroffen wäre. An der Myostatin-Mutation hängt ganz offensichtlich mehr, als der Augenschein hergibt und die phänotypische Ausprägung und Auffälligkeit eines mutierten Merkmals sagt wenig aus über seine Relevanz für die innere Substanz der Rasse. Es ist deswegen durchaus nicht angebracht, die Problematik „Doppellender in der Highland-Zucht“ mit dem Hinweis zu bagatellisieren, man wisse ja gar nicht, wie sich das hier auswirkt. Und anekdotische Empirie nach dem Muster „Ich habe einen dm-Highland-Bullen gesehen und der sah genau aus, wie andere Highland-Bullen“ oder „Meine positiv getestete Highland-Kuh hat neulich problemlos gekalbt“ trägt ebenfalls nicht zum Verständnis der Problematik bei.
Entwicklung und Zusammensetzung der Muskulatur
Eine Überentwicklung der Muskulatur ist das prominenteste und bekannteste Merkmal der Doppellender-Genetik. Diese Überentwicklung kommt in erster Linie dadurch zustande, dass bereits in der embryonalen Entwicklung eine erhöhte Anzahl von Muskelfasern angelegt wird. (Wegner et al., 2000) Dieser als Muskel-Hyperplasie bezeichnete Effekt ist bei homozygoten Tieren stärker ausgeprägt, lässt sich aber auch bei heterozygoten Individuen nachweisen und variiert beträchtlich zwischen verschiedenen Rinderrassen. Homozygote dm/dm-Kälber sind bereits bei der Geburt stärker entwickelt als heterozygote Kälber und diese wiederum stärker als reinerbige +/+-Wildtyp-Kälber. (Wiener et al., 2002) ;
Wie NT821-homozygote Highland-Kälber aussehen, wissen wir nicht. Aus persönlicher Kommunikation weiß ich bisher nur von einer einzigen homozygoten Färse, die von ihrem Züchter als außerordentlich stark bemuskelt beschrieben wird. Heterozygote dm/+ Highland Cattle lassen sich durch Inspektion nicht sicher als solche identifizieren und von anderen gut bemuskelten Tieren unterscheiden. Das liegt nicht zuletzt sicher auch daran, dass es bei der Rasse Highland noch ein ausgesprochen weites Spektrum unterschiedlicher Typen gibt, was ausgewachsene Größe, Gewicht und Bemuskelung angeht.
Die Muskulatur von Säugetieren besteht aus einer Mischung unterschiedlicher Muskelfaser-Typen, einer Mischung von sogenannten schnellen und langsamen Muskelfasern, deren Verhältnis zueinander auch durch die Funktion eines jeweiligen Muskels bestimmt wird. Bei dm-Tieren ist das normale Verhältnis dieser Fasertypen verändert. Die Zahl der schnellen Fasern ist signifikant erhöht, die der langsamen Fasern vermindert. (Fiems et al., 2012; Wegner et al., 2000) Die schnellen Fasern sind zu kurzen Höchstleistungen (Flucht und Kampf) fähig und verfügen über einen anaeroben, d.h. nicht von Sauerstoffzufuhr abhängigen, Energiestoffwechsel, bei dem in der Muskulatur gespeicherter Zucker (Glykogen) verbraucht wird und Milchsäure als Endprodukt anfällt. Die langsamen Fasern dagegen sind zu Ausdauerleistung fähig und verstoffwechseln dazu Sauerstoff, Zucker und Fette, die auf dem Blutwege zugeführt werden.
In der Muskulatur von NT821-Doppellendern wurde eine verminderte Dichte von Kapillaren gefunden, kleinsten Blutgefäßen, die Betriebsstoffe heranführen und Stoffwechselschlacken (Milchsäure) und überschüssige Wärme abtransportieren. (Halipré, 1973, zit. nach Fiems)
Die Muskulatur von NT821-Doppellendern enthält weniger intramuskuläres Fett, u.a. Betriebsstoff für muskuläre Dauerleistung.
Die Muskulatur von NT821-Doppellendern enthält weniger Bindegewebe. Unklar ist, ob dieser Befund eine Auswirkung auf die Zartheit des Fleisches hat. (Ngapo et al., 2002)
Fettgewebe
NT821-Doppellender bilden beträchtlich weniger Fettgewebe aus und haben somit erheblich geringere Energiedepots als normale Tiere. Dies betrifft sowohl das Unterhaut-Fettgewebe, wie auch das intramuskulär gespeicherte Fett („Marmorierung“) und die um die inneren Organe gelagerten Fett-Depots. Das Fett von dm-Rindern weist höhere Gehalte an mehrfach ungesättigten Fettsäuren auf und entsprechend geringere Konzentrationen an gesättigten Fettsäuren. (Arthur et al., 1995; Casas et al., 2004; De Campeneere et al., 2001; Ryan et al., 2023; Wiener et al., 2002)
Innere Organe
NT821-Doppellender haben einen kleineren Verdauungstrakt. Die Futteraufnahmekapazität dieser Tiere ist vergleichsweise reduziert (Baumont et al., 1995) und sie sind weniger gut in der Lage, große Mengen an minderwertigem Raufutter effektiv zu verwerten. (Casas et al.,2004; Fiems et al., 2012) Um die verminderte Futteraufnahmekapazität wett zu machen brauchen sie eine hohe Nährstoff-Dichte in hochwertigem, leicht verdaulichem Futter. Bei extensiver Weidehaltung und minderer Futterqualität gedeihen diese Tiere schlechter und betroffene Kühe weisen eine geringere Fruchtbarkeit auf. (Café et al., 2012)
Geringere Organgrößen wurde auch für Leber und Milz berichtet. (Fiems et al., 2012)
NT821-Doppellender haben kleinere Herzen mit verminderter Pumpfunktion und entsprechend geringerer Leistungsfähigkeit und höherer Stressanfälligkeit.
Betroffene Tiere haben ein kleineres Lungenvolumen, reduzierte Lungenfunktion und höhere Anfälligkeit für Atemwegserkrankungen. (Lekeux et al., 1994)
IV. Wie betrifft all dies die Kernkompetenzen und die innere Substanz unserer Rasse?
Leichtkalbigkeit beeinträchtigt
Die Überentwicklung der Muskulatur wird in der Embryonalentwicklung angelegt und deshalb sind die Kälber von NT821-Trägern, je nach Geschlecht, Rasse und Gen-Status mehr oder weniger ausgeprägt, schon bei Geburt schwerer und klobiger als normale Kälber. Dies führt statistisch signifikant häufiger zu Problemen bei der Geburt. Bei der weitgehend reinerbigen Doppellender-Rasse der Weiß-Blauen Belgier z.B. führt dies praktisch zur Geburtsunmöglichkeit auf normalem Wege, so dass Kälber fast ausschließlich durch Kaiserschnitt geboren werden müssen. (Hanset, 1998) Bei anderen Rassen und Kreuzungen ist dieser Effekt nicht so stark ausgeprägt. Gleichwohl kommt es auch hier statistisch signifikant häufiger zu Schwergeburten, auch bei heterozygoten Tieren. Der Genotyp des Kalbes ist dabei von größerer Bedeutung als der des Muttertieres. (Wiener et al., 2002) Ein heterozygotes dm/+-Kalb bei einer +/+-Mutter wird demzufolge eher ein Geburtsproblem haben als ein +/+-Kalb bei einer dm/+-Mutter. Ein höheres Risiko einer Schwergeburt haben homozygote dm/dm-Kälber.
Jede Schwergeburt bedroht Leben und Vitalität des Kalbes und kann beim Muttertier zu Verletzungen und nachfolgenden Infektionen von Scheide und Gebärmutter führen und bis hin zur dauerhaften Unfruchtbarkeit.
Kernkompetenz für extensive Weidehaltung beeinträchtigt
Die Fähigkeit Weidefutter minderer Qualität effektiv zu verwerten und selbst auf mageren Weiden zu gedeihen und gesunde Kälber hervorzubringen, ist für die intensive Fleischindustrie unter heutigen Haltungsbedingungen sicher vernachlässigbar. Genau dies aber ist eine seit Jahrhunderten gepflegte kardinale Kernkompetenz der Rasse Highland und sie erfordert ein Verdauungssystem, das mit solchen Futter- und Vegetationsbedingungen gut zurechtkommt. Dm-Tiere dagegen erbringen ihre überlegene Fleischleistung nur auf Grundlage von hochwertigem, leicht verdaulichem Futter, Kraftfutter, Maissilage und fetten Weiden, und auch ihre reproduktive Leistung hängt von solcher Futtergrundlage ab. (Café et al., 2012) Als Träger der NT821-Genetik würden Highland Cattle mit einiger Wahrscheinlichkeit einen Teil dieser rassedefinierenden Kompetenz einbüßen.
Fähigkeit zur Bildung von Energiereserven beeinträchtigt
Im Hinblick auf moderne Haltungsbedingungen und tatsächliche wie angebliche Verbraucherwünsche ist Fett heute ein eher unerwünschtes Neben- und Abfallprodukt. Wie alle alten Nutztierrassen haben aber auch Highland Cattle eine ausgeprägte Fähigkeit in den guten Zeiten einer kurzen Vegetationsperiode Fett-Depots zu bilden, die als isolierende Unterhaut-Schicht vor Kälte schützt und als Energiespeicher das Überleben in schlechteren Zeiten sichert. Auch diese Fähigkeit ist ein Kernelement unserer Rasse, ihrer Robustheit und Widerstandsfähigkeit in rauem Klima. Als Träger der NT821-Genetik würden Highland Cattle einen Teil auch dieser Fähigkeit verlieren.
(Zu intramuskulärem Fett und Fleischqualität s.u.)
Physische Leistungsfähigkeit beeinträchtigt
Die beschriebenen Veränderungen in der muskulären Struktur und Funktionsweise von NT821-Trägern und ihre geringere Herz- und Lungen-Kapazität tragen insgesamt zu schnellerer Ermüdung dieser Tiere bei körperlicher Belastung bei. Highland Cattle heißen nicht umsonst Hochlandrinder: die Fähigkeit, ihr Futter auf unwegsamem, steilem, steinigem, moorigem Terrain zu suchen, ist von je her unverzichtbarer Bestandteil der Rasseidentität und auch diese Fähigkeit kann durch die NT821-Genetik nur beschädigt werden.
Anmerkung zu Fleischqualität und NT821-Genetik
Doppellender-Rinder sind charakterisiert durch hohe Fleischerträge, hohe Ausschlachtung und hohe Anteile von „Edelstücken“. Die Schlachtkörper sind fettarm und das Fett weist ein günstigeres Verhältnis von ungesättigten zu gesättigten Fettsäuren auf. Die Bindegewebsanteile der Muskulatur sind geringer als bei normalen Tieren.
Die Auswirkung dieser Merkmale auf die Fleischqualität wird uneinheitlich beurteilt. (Ngapo et al., 2002) Eine Literaturübersicht kommt zu dem Schluss, dass „die Zartheit, Farbe und Saftigkeit des Fleisches nicht immer verbessert sind.“ (Fiems, 2012) Die strukturelle und biochemische Zusammensetzung der Doppellender-Muskulatur führt möglicherweise zu größerer Empfindlichkeit gegenüber Stress und Fasten vor der Schlachtung mit negetiver Beeinflussung der Fleischreifungsvorgänge nach dem Schlachten, so dass das Fleisch schließlich als sog. DFD-Fleisch (DFD – dry, firm, dark – trocken, fest, dunkel) zu betrachten ist. (Fiems, 2012)
Bei der Beurteilung von Fleischqualität gehen, insbesondere bezüglich Fett, individuelle Verbraucherwünsche und auch internationale Fleisch-Klassifikationen weit auseinander. „Verbraucher in hoch entwickelten Ländern bevorzugen Fleisch mit niedrigem Fettanteil; dies widerspricht in blinden Tests aber ihren Geschmacksurteilen, . . . . . eine Herausforderung für Züchter, die die Nachfrage von Kunden befriedigen müssen, die ihren eigenen Geschmacksurteilen offensichtlich widersprechen.“ (Kostusiak et al., 2023)
V. Resümmee
Nichts von all dem ist belegt für die Rasse Highland Cattle, aber alle diese Befunde wurden in der wissenschaftlichen Literatur bei anderen europäischen Hausrinderrassen, zu denen auch Highland Cattle zählen, beschrieben. Die physischen Auswirkungen der Myostatin-Mutation unterscheiden sich zwar graduell zwischen verschiedenen Rassen, aber keine einzige Auswirkung der NT821-Genetik, so marginal und geringfügig sie im Einzelfall sein mag, fördert die Robustheit, Widerstandskraft und Gesundheit betroffener Tiere. Im Gegenteil.
Während die Debatten über die Doppellender-Problematik in der Highland-Züchterschaft oft um verstärktes Muskelwachstum und erhöhte Fleischausbeute einerseits und um die Gefahr von Schwergeburten andererseits kreisen, ist das Anliegen dieses Artikels, aufzuzeigen, dass es mit dieser Myostatin-Mutation weit mehr auf sich hat. Es liegen, wie oben ausgeführt, umfangreiche Daten vor, die belegen, dass die Gen-Mutation NT821 eine Reihe von Auswirkungen hat, die in der Summe dazu führen, dass betroffene Tiere auf minderem Grünland geringere Leistungen erbringen und dass ihre Robustheit und Widerstandsfähigkeit geringer ist. Keine der nachgewiesenen Veränderungen würde zu einer verbesserten Anpassungsfähigkeit an herausfordernde extensive Haltungsbedingungen führen.
Für die Integrität und innere Substanz einer Rasse, die für ihre besondere Robustheit geschätzt wird und für ihre Fähigkeit, auch da zu gedeihen, wo andere Rassen kaum überleben können, stellt diese Genetik zweifellos eine Bedrohung dar.
Literaturnachweise
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(Stephan Janz, Juni 2024)
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